Man könnte es verrückt oder genial nennen. Oder ein bisschen von beidem. Es ist die Rede von einem einfachen Portfolio, das jeder für seine Altersvorsorge nutzen kann. Geringe Kosten, kein großer Aufwand. Und: Es hat zwei wichtige Dinge geschafft. Es hat das Standard-Wall-Street-Portfolio mit 60 Prozent Aktien und 40 Prozent Anleihen geschlagen – und zwar nicht nur im letzten Jahr, als es um 7 Prozentpunkte besser abschnitt, sondern schon seit 50 Jahren. Zugleich ist es auch mit viel weniger Risiko verbunden.
Von Brett Arends
MarketWatch, Barron’s
Übersetzung: Thomas Steer
2022 feierte dieses Portfolio mit dem Namen „All Asset No Authority“ (AANA) sein 50-jähriges Bestehen.
AANA ist eine Idee von Doug Ramsey. Er ist Chief Investment Officer bei Leuthold & Co, einer alteingesessenen Fondsgesellschaft, die sich vernünftigerweise in Minneapolis niedergelassen hat – also weit weg von der Wall Street.
Das AANA-Portfolio ist verblüffend einfach, überraschend komplex und hat sich als erstaunlich beständig erwiesen. Man muss sein Anlagevermögen nur in 7 gleich große Teile aufteilen und jeweils in folgende Werte investieren: Aktien großer US-Unternehmen (S&P 500), Aktien kleiner US-Unternehmen (Russell 2000), Aktien von Industrieländern (EAFE-Index für die Aktienmärkte Europas, Australiens, Asiens und des Fernen Ostens), Gold, Rohstoffe, US-REITs und 10-jährige US-Staatsanleihen.
Das war Ramseys Antwort auf die Frage: Wie würden Sie Ihre langfristigen Anlagen aufteilen, wenn Sie Ihrem Vermögensverwalter keinerlei Handlungsspielraum geben, aber eine maximale Streuung anstreben würden?
AANA deckt eine Reihe von Anlagekategorien ab, darunter Immobilien, Rohstoffe und Gold. Das Portfolio hält sich damit sowohl in Zeiten von Inflation als auch von Desinflation oder Deflation. Und es weist eine feste Vermögensaufteilung auf: Sie verteilen ihr Geld gleichmäßig auf die genannten 7 Vermögenswerte und nehmen einmal im Jahr eine Anpassung vor, um sie wieder gleich zu gewichten. Das war’s. Der Portfoliomanager muss sich um nichts weiter kümmern. Er darf auch nichts anderes tun. Er hat keine Befugnis.
AANA hat sich während des schwierigen Jahres 2022 viel besser entwickelt als die üblichen Wall-Street-Investments. Es beendete das Jahr zwar mit einem Minus von 9,6 Prozent; aber das war weitaus besser als der S&P 500, der um 18 Prozent einbrach, oder als ein ausgewogenes Portfolio mit 60 Prozent US-Aktien und 40 Prozent US-Anleihen, das um 17 Prozent fiel. Der Nasdaq Composite hat ein Drittel verloren. Und von Kryptowährungen brauchen wir gar nicht erst zu reden.
Der Erfolg des AANA-Portfolios im vergangenen Jahr ist auf ausschließlich zwei Faktoren zurückzuführen: Sein Engagement in Rohstoffen, die um etwa ein Fünftel gestiegen sind; und sein Engagement in Gold, das in Dollar gleich geblieben ist (und in Euro 6 Prozent, in britischen Pfund 12 Prozent und in japanischen Yen 14 Prozent zugelegt hat).
Ramseys AANA-Portfolio hat sich in den letzten 10 Jahren schlechter entwickelt als die üblichen US-Aktien und -Anleihen. Das liegt aber hauptsächlich daran, dass letztere einen massiven – und, wie es scheint, nicht nachhaltigen – Boom erlebt haben. Das Besondere an AANA ist, dass es in 50 Jahren noch nie ein schlechtes Jahrzehnt verbucht hat. Ob in den 1970er- oder den 2000er-Jahren: Während die Wall Street schwächelte, hat AANA respektable Renditen erzielt.
Seit Anfang 1973 hat das Portfolio nach Ramseys Berechnungen eine durchschnittliche Rendite von 9,8 Prozent pro Jahr erzielt. Das ist etwa ein halber Prozentpunkt pro Jahr weniger als der S&P 500. Aber natürlich ist AANA kein Hochrisikoportfolio, das vollständig an den Aktienmarkt gebunden ist. Besser ist da der Vergleich mit einem „ausgewogenen“ 60/40-Standardportfolio.
Seit Anfang 1973 hat das 60/40-Portfolio nach Angaben der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der New York University eine durchschnittliche Gesamtrendite von 9,1 Prozent pro Jahr erzielt. Das ist weniger als AANA. Und: Dieses angeblich „ausgewogene“ Portfolio schnitt in den 1970er-Jahren sehr schlecht ab, und auch im letzten Jahr lief es schlecht.
Wenn Sie möchten, können Sie sich ein AANA-Portfolio selbst zusammenstellen, indem Sie 7 kostengünstige ETFs verwenden: Zum Beispiel den SPDR S&P 500, iShares Russell 2000, Vanguard FTSE Developed Markets, abrdn Physical Gold Shares, einen Rohstofffonds wie den iShares S&P GSCI Commodity-Indexed Trust ETF, den iShares 7-10 Year Treasury Bond ETF und den Vanguard Real Estate ETF.
Das sind nur Beispiele. In jeder Kategorie gibt es konkurrierende ETFs, und in einigen – wie etwa bei Rohstoffen und REITs – variieren sie ziemlich stark. GSG folgt zufällig dem speziellen Rohstoffindex, den Ramsey in seinen Berechnungen verwendet.
Es gibt viele schlechtere Anlageportfolios, aber die Frage ist: Wie viele sind besser? In einem boomenden Bullenmarkt wird AANA schlechter abschneiden als normale Aktien und Anleihen, in einem schlechten Jahrzehnt dagegen besser.
Für diejenigen, die es interessiert, bietet Ramsey noch etwas Besonderes: Seine Berechnungen zeigen, dass es in den letzten 50 Jahren smart war, zu Beginn jedes Jahres in jene Anlageklasse des Portfolios zu investieren, die in den vorangegangenen 12 Monaten die zweitbeste Performance erzielte. Er nennt das die „Brautjungfer“-Investition. Sie hat seit 1973 im Durchschnitt 13,1 Prozent pro Jahr eingebracht – ein erstaunlicher Rekord, der den S&P 500 noch übertrifft. Letztes Jahr performte die Brautjungfer übrigens schlecht (es waren REITs, die abstürzten). Aber in den meisten Jahren verbucht sie hohe Gewinne.
Wer sich diese einfache Möglichkeit zunutze machen möchte, könnte das Portfolio in 8 statt 7 Blöcke aufteilen und den achten Block zur Verdoppelung seiner Investition in die Brautjungfer verwenden. Für 2023 wäre die Brautjungfer Gold. Im letzten Jahr ist es hinter den Rohstoffen zurückgeblieben, hat aber ein ausgeglichenes Ergebnis erzielt.
Ob nun verrückt oder genial, wer ein langfristiges Portfolio für seinen Ruhestand zusammenstellt, dem bieten sich sicherlich schlechtere Möglichkeiten. Und viele davon werden von hochbezahlten Anlageexperten aufgegriffen und an den Rest von uns vermarktet.