Die Aktien des französischen Zahlungsabwicklers Worldline sind am Mittwoch um mehr als 40 Prozent eingebrochen. Der dramatische Kurssturz folgte auf die Veröffentlichung einer investigativen Artikelserie mit dem Titel „Dirty Payments“, die dem Unternehmen fragwürdige Praktiken und „Schmuddelgeschäfte“ vorwirft.
Im Zentrum der Recherche des European Investigative Collaborations (EIC) Netzwerks, zu dem auch der Spiegel gehört, steht die Worldline-Tochter Payone. Der Vorwurf: Der Zahlungsdienstleister soll über Jahre systematisch mit zweifelhaften Geschäftspartnern aus Bereichen wie Online-Glücksspiel, Dating- oder Pornoseiten zusammengearbeitet und dabei gesetzliche Vorgaben zur Geldwäscheprävention missachtet haben.
So ignorierte Worldline laut einem Bericht der niederländischen Zeitung NRC in den vergangenen Jahren Warnungen und setzte Geschäftsbeziehungen zu verbotenen und anderen Hochrisiko-Kunden fort. Das Unternehmen soll lukrative Kunden mit hohen Betrugsraten nicht gesperrt haben, obwohl die interne Risikomanagement-Abteilung strengere Kontrollen forderte.
Der Spiegel berichtete, dass die in Frankfurt ansässige Payone trotz rechtlicher Verpflichtungen zwielichtige Kunden nicht gründlich überprüft habe. Die Berichte werfen Worldline vor, durch die Fortsetzung dieser Geschäftsbeziehungen betrügerische Transaktionen ermöglicht zu haben.
Payone wickelt Zahlungen von Privatleuten an der Ladenkasse und in Onlineshops ab und verarbeitet nach eigenen Angaben für 277.000 Kunden 5,4 Milliarden Transaktionen pro Jahr. Das Unternehmen mit Sitz in Frankfurt am Main ist in Deutschland und Österreich tätig. Es gehört zu 60 Prozent dem französischen Worldline-Konzern und zu 40 Prozent den deutschen Sparkassen.
Auch bei der deutschen Finanzaufsicht BaFin ist Payone kein unbeschriebenes Blatt. Ende Januar 2025 hatte die Behörde das Unternehmen aufgefordert, Mängel in der Geldwäscheprävention abzuarbeiten, die bei früheren Untersuchungen unter anderem im Jahr 2022 aufgefallen waren. Bereits am 26. Juli 2023 hatte die BaFin der Payone GmbH wegen „hoher Geldwäscherisiken und gravierender Defizite in der Geldwäscheprävention“ untersagt, Transaktionen für bestimmte Hochrisiko-Geschäftskunden durchzuführen.Worldline hatte 2023 offengelegt, dass das Unternehmen Verbindungen zu einigen Kunden kappte, was zu Umsatzeinbußen von etwa 130 Millionen Euro führte. Nach der BaFin-Intervention trennte sich Payone von Hunderten „Hochrisikokunden". Interne Dokumente deuten jedoch darauf hin, dass Zahlungen solcher Händler weiterhin über andere Worldline-Töchter abgewickelt werden.
Worldline-CEO Pierre-Antoine Vacheron wies die Vorwürfe während einer eigens einberufenen Analystenkonferenz am Mittwoch scharf zurück. Er bezeichnete die Berichterstattung als „orchestrierte Medienkampagne“ und behauptete, das Unternehmen sei von den Medien „angegriffen“ worden. Vacheron betonte, dass „nichts Neues“ in den jüngsten Medienberichten stehe und sprach von einem „inakzeptablen Narrativ“.Der CEO kündigte an, rechtliche Schritte gegen die beteiligten Medien zu prüfen. Zudem versicherte er, dass etwaige weitere Kündigungen von Geschäftsbeziehungen weiterhin im Rahmen der bereits kommunizierten 130 Millionen Euro Umsatzeinbußen lägen. Risikokunden machten etwa 1,5 Prozent des Firmenvolumens aus, so Vacheron.Darüber hinaus beteuerten Worldline als auch Payone in Stellungnahmen, die Compliance-Vorgaben seit 2023 verschärft zu haben. Worldline verwies dabei auf, „enorme Fortschritte in der Überwachung des Geschäfts mit HBR-Kunden (High Brand Risk)“, um die Konformität mit Recht und Gesetz sicherzustellen.Geschäftsführung und Aufsichtsrat betonten ihre „volle Verpflichtung zur strikten Einhaltung von Vorschriften und Risikopräventionsstandards“ sowie zur „strikten Durchsetzung entsprechender Regeln und Verfahren mit Null-Toleranz“. Das Unternehmen verfolge einen „rigorosen“ Ansatz gegenüber Händlern und habe eine Null-Toleranz-Politik für Abweichungen von seinen Standards.Eine Payone-Sprecherin betonte, das Unternehmen habe das Hochrisikogeschäft nach der BaFin-Intervention komplett eingestellt und interne Kontrollen geschärft.Trotz der Bemühungen, die Wogen zu glätte, waren die Investoren am Mittwoch in heller Aufregung. Kein Wunder, wecken die Vorwürfe doch negative Erinnerungen an den Finanzdienstleister Wirecard. Der ehemalige DAX-Konzern war ebenfalls wiederholt wegen fragwürdiger Geschäftspraktiken in die Schlagzeilen geraten und 2020 nach einem Bilanzskandal pleitegegangen.UBS-Experte Justin Forsythe hält die Situation bei Worldline für schwer kalkulierbar und warnt vor möglichen Problemen in der Zahlungsabwicklung mit Visa und Mastercard aufgrund deren spezieller Verhaltensregeln. Besonders schwerwiegend sei der Reputationsschaden durch die Berichte. Zudem könnten Umsatzeinbußen drohen, wenn Hochrisiko-Kunden wegfielen.
Worldline ist seit 2014 börsennotiert und hatte im Sommer 2021 mit rund 85 Euro ihren Höhepunkt erreicht. Seitdem geht es wegen verschiedener Probleme und schwacher Geschäftszahlen kontinuierlich abwärts. Das Unternehmen ist mittlerweile an der Börse nur noch rund 800 Millionen Euro wert - vor rund vier Jahren lag die Bewertung noch bei fast 25 Milliarden Euro.
Der Handel mit Worldline-Aktien wurde am Mittwoch mehrmals ausgesetzt, bevor die Papiere schließlich bei 2,905 Euro schlossen - ein Minus von etwa 37 Prozent gegenüber dem Vortag. Am heutigen Donnerstag erholten sich die Aktien zunächst und stiegen im frühen Handel um bis zu 7,6 Prozent. Auf dem aktuellen Niveau notieren sie aber immer noch mehr als 60 Prozent tiefer als zu Jahresbeginn und sogar 96 Prozent unter Allzeithoch.
Enthält Material von dpa-AFX