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Türkei-Währung sackt auf neues Allzeittief – das sind die Auswirkungen für Land und Urlauber

Türkei-Währung sackt auf neues Allzeittief – das sind die Auswirkungen für Land und Urlauber

14.8.2025 10:05:00 | Quelle: Der Aktionär | Lesedauer etwa 5 min.

Die türkische Landeswährung ist fast nichts mehr wert. Am Donnerstag sackt die Lira gegenüber Euro und Dollar auf neue historische Tiefstände ab. Die Türk Lirası zeigt in 2025 die zweitschwächste Performance aller Schwellenländer. Zur US-Währung beträgt der Abschlag seit Jahresanfang schon mehr als 15 Prozent. Wie es weitergehen könnte und warum nun auch Nutella teurer wird. 

Die türkische Lira setzt ihre Talfahrt fort. Allein seit Jahresanfang 2025 hat die Türk Lirası gegenüber dem Euro gut 23 Prozent an Wert verloren, gegenüber dem US-Dollar 15,5 Prozent. Nur der argentinische Peso ist noch schwächer. Seit Anfang 2023 hat sich die Lira mehr als halbiert (siehe Chart). Die AKP-Ära, die im November 2002 mit den Schlagworten "Stabilität" und "starke Wirtschaft" startete, stürzte das Land in eine tiefe Währungskrise und die Bevölkerung in wirtschaftliche Not, schreibt Reuters. 

Die Ursachen der seit Jahren anhaltenden Schwäche sind vielfältig. Die Türkei senkte unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan mehrfach die Leitzinsen, obwohl die Inflation extrem hoch war. Das widerspricht gängigen Wirtschaftstheorien und beschädigte das Vertrauen in die Währung stark. 

Eigentlich sollte das sogenannte KKM-System, das am 20. Dezember 2021 vom damaligen Finanzminister
Nureddin Nebati eingefüht wurde, das
Vertrauen in die türkische Lira stärken, indem es den Inhabern von
TL-Einlagen, die unter Wechselkurs-Schwankungen litten, eine staatliche
Garantie bot. Nebati stellte das System mit den Worten vor: "Unsere
Bürger können ihre Einlagen in türkischer Lira beruhigt behalten, denn
sie werden durch den Staat gegen Wechselkursschwankungen abgesichert." 

Das angestrebte Ziel, das Vertrauen in die Währung zu stärken, führte jedoch
im Laufe
der Zeit zu vielfacher wirtschaftlicher Kritik. Die türkische Lira verlor gegenüber
anderen Währungen stark. In den Jahren 2021, 2022, 2023 und
2024 verbilligte sich die Lira gegenüber dem Dollar um 44, 29, 37 beziehungsweise 16 Prozent. Diese Wertverluste führten zu astronomisch hohen
Wechselkurs-Ausgleichszahlungen durch das Finanzministerium. 

Berechnungen auf der Grundlage von Berichten von Reuters und der TCMB zeigen, dass das KKM-System die Türkei bis heute etwa 60 Milliarden Dollar gekostet hat. Die Abschaffung des Systems wird zügig vorangetrieben. 

Im vergangenen März kam es nach der Verhaftung des Istanbul-Bürgermeisters und Präsidentschaftskandidaten der CHP, Ekrem İmamoğlu, noch zu einem verstärkten Einbruch. Damals griff die Zentralbank ein und verkaufte 26 Milliarden Dollar, um die Devise zu stützen. Dieser Schritt reichte jedoch nicht aus, um den Wertverlust der türkischen Lira zu stoppen, und die wirtschaftlichen Unsicherheiten vertieften sich weiter. 

Bereits zwischen 2019 und 2020 verkaufte die Zentralbank zur Lira-Stützung Dollar-Reserven in Höhe von rund 128 Milliarden Dollar. Schätzungen zufolge liegen die Reserven inzwischen im negativen Bereich. 

Die Folgen des Lira-Absturzes sind dramatisch. Die importabhängige Produktion wurde teurer, was auf die Verbraucherpreise durchschlug. Investoren sind nachhaltig verunsichert, Kapitalabflüsse beschleunigten sich. 

Zwar konnte die Inflation zuletzt etwas eingedämmt werden. Im Juli lag die Inflationsrate nach offiziellen Angaben bei 33,5 Prozent. Das war der niedrigste Wert seit November 2021. Ende 2022 hatte sie mit 85 Prozent ihren Höhepunkt erreicht. Unabhängige Ökonomen zweifeln allerdings an den offiziellen Daten. 

Im Juni hatte die Teuerungsrate noch bei gut 35 Prozent gelegen. Von Juni auf Juli zogen die Preise um 2,06 Prozent an. Getrieben wurde die monatliche Teuerung vor allem durch Preisanstiege beim Wohnen von 5,8 Prozent sowie bei alkoholischen Getränken und Tabak von 5,7 Prozent. 

Die rapide Inflation trifft türkische Haushalte besonders hart – Lebensmittel, Energie und Mieten sind stark gestiegen. Laut Medienberichten verursacht die Entwertung im Land eine "verlorene Generation": Viele Kinder müssen arbeiten, um das Überleben ihrer Familien zu sichern. Die Preise ziehen weiter merklich an – insbesondere bei Produkten, die importiert oder energieabhängig sind, was in fast allen Alltagsbereichen spürbar ist. 

Der Tourismus profitiert hingegen. Die Abwertung macht Reisen in die Türkei für Urlauber attraktiver. Im Vergleich zu früher sind Reisen, Essen und Unterkunft günstiger geworden. Doch die Wechselkurs-Labilität kann die Planung erschweren – spontane Preissprünge und Währungsrisiken bleiben bestehen. 

Zuletzt wurde der Urlaub in der Türkei allerdings teurer. Reisebüros und Online-Portale aus Deutschland verzeichneten in dieser Sommersaison rund zehn Prozent weniger Buchungen für die türkische Riviera. Das ging  aus den Mai-Daten des Marktforschungsinstituts Travel Data + Analytics hervor. Und das hat wiederum auch Folgen für die türkische Wirtschaft. Denn der Tourismus macht bis zu 13 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. 

Die Lira-Entwicklung hat auch Auswirkungen auf die Preise von landwirtschaftlichen Produkten. So sind etwa die Haselnuss-Preise seit Jahresbeginn bis nun zur Erntezeit um mehr als ein Drittel gestiegen, was in Deutschland Unternehmen wie Ritter Sport, Seeberger oder Zentis trifft. 

Die Türkei dominiert den Weltmarkt für Haselnüsse. Rund 60 Prozent der Haselnüsse wachsen vor allem an den grünen Berghängen entlang der Schwarzmeer-Küste, wo die Nuss wegen ihrer Bedeutung auch "grünes Gold" genannt wird. 

Im April schädigte ein Kälteeinbruch dort Blüten und Triebe – wonach Preise bereits vor Erntebeginn kletterten. Von einem der ärgsten Agrarfröste in der Geschichte der Türkei sprach Landwirtschaftsminister Ibrahim Yumakli. Experten führten als Grund den Klimawandel an, der Extremwetter häufiger werden lässt. 

Die Frostschäden in der Türkei treffen vor allem die Produzenten. Viele Bauern sind nicht gegen Ernteausfälle versichert. In Dörfern an der Schwarzmeer-Küste ist der Haselnussanbau wirtschaftlich so dominant, dass er oft die einzige Einkommensquelle bildet. 

Die staatliche Getreidebehörde legte vor wenigen Tagen zur Erntezeit wie üblich einen offiziellen Mindesteinkaufspreis für Haselnüsse fest, der den Markt stabilisieren soll. Dieses Jahr liegt der Einkaufspreis eines Kilogramms Nüsse bei rund 4,20 Euro. Das ist knapp 17 Prozent höher als im Vorjahr – auf Euro-Basis. Auf Basis der Landeswährung Lira, die immer weiter abwertet, ist es eine Erhöhung von mehr als 50 Prozent. 

Die Preissteigerungen dürften vor allem den weltweit größten Einkäufer von Haselnüssen treffen: den Nutella-Produzenten Ferrero, der schätzungsweise etwa ein Drittel aller Haselnüsse bezieht. Die Preisentwicklung kommentierte das Unternehmen auf Anfrage von dpa-AFX nicht. Dass es zu Lieferunterbrechungen komme, verneinte Ferrero. Haselnüsse beziehe Ferrero außer aus der Türkei auch aus Italien, Chile und den USA, was die Versorgung sicherstelle. 

Rainer Lückenhausen vom Hamburger Handelshaus Schlüter & Maack, das unter anderem auf Haselnüsse spezialisiert ist, schätzt, dass Unternehmen auf andere Nussarten ausweichen werden – insbesondere Mandeln, "die preislich interessanter sind". 

Enthält Material von dpa-AFX

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