BERLIN (dpa-AFX) - Nach dem vorläufigen Scheitern eines Wehrdienst-Kompromisses in der Koalition dringt die Union auf deutliche Änderungen am Gesetzentwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im parlamentarischen Verfahren. CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn wies darauf hin, dass der Bundestag bei dem Thema das letzte Wort hat. "Gesetze werden in Deutschland immer noch vom Parlament verhandelt und beschlossen, nicht von Ministern", sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. "Wir werden den Entwurf diese Woche im Deutschen Bundestag einbringen und weiter verhandeln."
Pistorius versucht unterdessen die Wogen in dem Streit zu glätten, der am Dienstag eskaliert war. "Ich finde, das alles weit weniger dramatisch, als es gerade gemacht wird", sagte er am Rande einer Sitzung des Verteidigungsausschusses. Er betonte, man habe lediglich eine Woche Zeit verloren und werde jetzt ganz normal das Gesetz beraten.
Kompromiss scheiterte in SPD-Fraktion
Die Fachpolitiker beider Koalitionsfraktionen hatten sich am Montagabend nach tagelangen Verhandlungen auf Eckpunkte für ein Wehrdienstmodell auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs von Pistorius verständigt. In der SPD-Fraktion gab es am Dienstag aber keine Zustimmung dafür. In der Union wird das vor allem darauf zurückgeführt, dass Pistorius in der Fraktionssitzung Stimmung gegen den Kompromiss gemacht habe. Eine bereits angekündigte Pressekonferenz zu den Details der Einigung der Unterhändler wurde schließlich kurzfristig wieder abgesagt.
Gesetzentwurf kommt in Pistorius-Fassung in den Bundestag
Nun soll der Gesetzentwurf am Donnerstag zunächst in der im August vom Kabinett beschlossenen Fassung in den Bundestag eingebracht werden. Pistorius strebt eine Verabschiedung noch in diesem Jahr an, damit die Neuregelungen zum 1. Januar in Kraft treten können.
Der Verteidigungsminister setzt auf einen Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit beruht. Hintergrund ist, dass er die Bundeswehr um rund 80.000 auf 260.000 Soldaten vergrößern will. Die Union bezweifelt, dass über Freiwilligkeit genug Wehrdienstleistende angeworben werden können, fordert klare Zielmarken für die Anwerbung und konkrete Mechanismen, falls diese nicht erreicht werden.
Anhörung zu Losverfahren am 10. November
Bei der Auswahl von Wehrdienstleistenden könnte auch ein besonders umstrittenes Losverfahren eine Rolle spielen, das wegen rechtlicher Bedenken auf Widerstand in der SPD trifft. Dazu soll es nun am 10. November eine Anhörung geben, wie der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, sagte. Es handelt sich um eine bei großen Gesetzgebungsverfahren übliche Expertinnen- und Expertenanhörung.
Wiese: "Der Geist von Würzburg ist nicht in den Herbstferien"
Auch Wiese versuchte den Streit zu deeskalieren und zeigte sich optimistisch, dass die bei einer Fraktionsführungsklausur in Würzburg im Sommer beschworene bessere Zusammenarbeit in Koalition letztlich gelingen werde: "Der Geist von Würzburg ist nicht in den Herbstferien." Pistorius sagte, dass es bei Meinungsverschiedenheiten mal rumpele, sei völlig normal. "Aus meiner Perspektive jedenfalls ändert das nichts an dem guten Arbeitsklima und darf es auch nicht."
Bereits der Streit um die Verfassungsrichterwahl oder auch die Stromsteuer hatten Erinnerungen an die ständigen Streitereien der Ampel-Vorgängerregierung wachgerufen.
Spahn pocht auf Kompromiss der Fachpolitiker
Spahn pochte unterdessen weiter auf eine Umsetzung des auf Fachebene ausgehandelten Kompromisses. "Deutschland muss sich wirksam verteidigen können - nicht irgendwann, sondern bald", sagte der CDU-Politiker. "Die Einigung beider Fraktionen auf ein neues Wehrdienst-Modell ist dafür eine gute Grundlage."
Pistorius: "Ja, ich habe von einem faulen Kompromiss gesprochen"
Pistorius bekräftigte seine Bedenken gegen die auf Fachebene gefundene Lösung. "Ja, ich habe von einem faulen Kompromiss gesprochen, aber ich habe niemanden persönlich angegriffen", sagte der SPD-Politiker. Er wiederholte, dass er sich trotz Skepsis gegenüber einem von der Union vorgeschlagenen möglichen Losverfahren dagegen nicht querstellen wolle. Seine Kritik richte sich eher gegen andere Dinge. "Es geht um die flächendeckende Musterung, die ich einfach brauche, für die Einsatzfähigkeit und für die Fähigkeit, einzuberufen im Ernstfall." Das sei im Gesetzentwurf vorgesehen und in der Regierung abgestimmt. Darüber werden man jetzt reden, ob das so komme.
Fachpolitiker für Stufenplan
Der Entwurf von Pistorius sieht auch die Option einer Einberufung vor, wenn nicht genügend Freiwillige gewonnen werden können. Dafür wäre eine Verordnung der Regierung nötig und eine anschließende Bestätigung durch den Bundestag. Gerade diesen Punkt sehen die Fachpolitiker kritisch. Es brauche einen praktikablen Zwischenschritt, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion Thomas Erndl (CSU) der dpa. Wenn eine Lücke von wenigen Zehntausend Wehrdienstleistenden bestehe, könne die Antwort nicht sein, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen.
Die Verteidigungspolitiker von Union und SPD hatten nach eigenen Angaben einen Stufenplan ausgearbeitet. Dabei wurde auch über das mögliche Losverfahren diskutiert, dessen genaue Ausgestaltung aber wegen der abgesagten Pressekonferenz unklar blieb. Dieses und andere strittige Themen werden nun weiter verhandelt.
"Strucksches Gesetz"
Verwiesen wird nun auch von Pistorius auf das "Strucksche Gesetz" - in Anlehnung an den früheren SPD-Verteidigungsminister Peter Struck, der sinngemäß einmal gesagt hatte, dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es eingebracht wurde. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Falko Droßmann sagte im Sender "Welt": "Es wird eine Einigung geben", das sei man dem Land und vor allem den jungen Männern, um die es gehe schuldig./mfi/jr/bw/DP/jha